OLG Karlsruhe v. 18.11.2025 - 20 UF 59/25
Fehlende Beschwerdemöglichkeit nach § 57 Satz 2 Nr. 2 und 3 FamFG
Nach § 57 Satz 1 FamFG sind Entscheidungen in Verfahren der einstweiligen Anordnung grundsätzlich nicht anfechtbar. Dies gilt gem. § 57 Satz 2 FamFG u.a. aber dann nicht, wenn das Gericht des ersten Rechtszugs auf Grund mündlicher Erörterung über die Herausgabe eines Kindes an den anderen Elternteil oder über einen Antrag auf Verbleiben eines Kindes bei einer Pflege- oder Bezugsperson entschieden hat. Damit ist nach § 57 Satz 2 Nr. 2 FamFG eine Beschwerdemöglichkeit gegen die vorläufig angeordnete Verpflichtung zur Herausgabe eines Kindes an den Ergänzungspfleger sowie gegen die Abweisung eines gegen den Ergänzungspfleger gerichteten Herausgabeantrags nicht eröffnet.
Der Sachverhalt:
Das Jugendamt hatte im Januar 2025 das AG mit der Anregung angerufen, ein Erziehungsfähigkeitsgutachten hinsichtlich der Eltern des M. einzuholen. Dieser besucht die fünfte Klasse eines Gymnasiums und war im November 2024 wegen Übergriffen auf andere Schüler vom Unterricht ausgeschlossen worden. Ein Schulausschluss steht im Raum. Zwischen den Eltern komme es immer wieder zu Auseinandersetzungen. Sie seien nicht in der Lage, sich um M. zu kümmern. Der Vater wende zudem körperliche Gewalt an. Eine im September 2024 eingerichtete Systemische Familienberatung habe im Dezember 2024 beendet werden müssen, weil es keine Fortschritte gegeben habe. Zudem sei M. suizidgefährdet und der Vater sei wiederholt handgreiflich geworden.
Das AG hat den Eltern mit Beschluss vom 10.3.2025 das Sorgerecht teilweise vorläufig entzogen. Ein Ergänzungspfleger wurde bestellt. Im vorliegenden Verfahren hat der Ergänzungspfleger einen Beschluss zur Herausgabe des Kindes beantragt. Das AG ist dem nachgekommen und hat im Wege der einstweiligen Anordnung, ohne vorherige mündliche Verhandlung, die Eltern verpflichtet, M. an den Ergänzungspfleger herauszugeben. Dieser ist unter Einsatz unmittelbaren Zwangs am 14.3.2025 in Begleitung eines Jugendamtsmitarbeiters mit Hand- und Fußfesseln in ein Polizeifahrzeug verbracht und zu einer Wohngruppe gefahren worden.
Nach Verhandlung am 5.6.2025 hat das AG den vorläufigen Sorgerechtsteilentzug mit Beschluss vom 18.6.2025 aufrechterhalten. Die hiergegen eingelegten Beschwerden beider Eltern sind zurückgewiesen worden. Das AG hat weiter im Wege der einstweiligen Anordnung Umgänge von M. mit seiner Mutter geregelt. Der Mutter ist zudem aufgegeben worden, dafür zu sorgen, dass der Vater während der Umgangszeiten keinen Kontakt zu M. hat.
Der Vater hat gegen den Beschluss vom 18.6.2025 Beschwerde eingelegt. Er wandte sich gegen die Herausgabeverpflichtung zugunsten des Ergänzungspflegers und begehrte seinerseits die Herausgabe. Das OLG hat die Beschwerde als unzulässig verworfen.
Die Gründe:
Die Beschwerde des Vaters ist nach § 57 S. 1 FamFG nicht statthaft.
Nach § 57 Satz 1 FamFG sind Entscheidungen in Verfahren der einstweiligen Anordnung grundsätzlich nicht anfechtbar. Dies gilt gem. § 57 Satz 2 FamFG u.a. aber dann nicht, wenn das Gericht des ersten Rechtszugs auf Grund mündlicher Erörterung über die Herausgabe eines Kindes an den anderen Elternteil oder über einen Antrag auf Verbleiben eines Kindes bei einer Pflege- oder Bezugsperson entschieden hat. Damit ist nach § 57 Satz 2 Nr. 2 FamFG eine Beschwerdemöglichkeit gegen die vorläufig angeordnete Verpflichtung zur Herausgabe eines Kindes an den Ergänzungspfleger sowie gegen die Abweisung eines gegen den Ergänzungspfleger gerichteten Herausgabeantrags nicht eröffnet. Ebenso wenig eröffnet ist nach § 57 Satz 2 Nr. 3 FamFG eine Beschwerdemöglichkeit gegen die vorläufige Anordnung des Verbleibens des Kindes in der Obhut des Amtsergänzungspflegers zum Zwecke der weiteren Unterbringung in einer Heimeinrichtung.
Im vorliegenden Fall betrafen sowohl die angeordnete Herausgabeverpflichtung an den Ergänzungspfleger als auch die vom Vater an beide Eltern begehrte Herausgabeanordnung gerade keine Herausgaben zwischen den Elternteilen. Zwar hält der 13. Senat des OLG Oldenburg die entsprechende Anwendung der Vorschrift für geboten, denn der mit der Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts betraute Ergänzungspfleger könne - wie ein sorgeberechtigter Elternteil - die Herausgabe des Kindes nach § 1632 BGB erwirken. Die zwischenzeitlich weit überwiegende Auffassung geht jedoch davon aus, dass eine Analogie ausscheidet und eine einstweilige Herausgabeanordnung an das Jugendamt nicht mit Rechtsmitteln angegriffen werden kann.
Der Senat schließt sich letzterer Auffassung an. Der das Rechtsmittel zulassenden Auffassung steht der eindeutige Wortlaut der Vorschrift entgegen. Damit werden ausdrücklich nicht sämtliche Fälle einer Kindesherausgabe nach § 151 Nr. 3 FamFG erfasst, sondern die Anwendbarkeit auf Fälle der Herausgabe von einem Elternteil an den anderen Elternteil beschränkt. Eine analoge Anwendung würde den eindeutigen Wortlaut unzulässig überschreiten. Mit Blick auf in Kenntnis des Meinungsstreites ausgebliebene Abänderungen der Norm durch Art. 6 des Gesetzes zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess und zur Änderung anderer Vorschriften vom 5.12.2012 (BGBl. I 2012, 2418) kann auch nicht von einer planwidrigen Regelungslücke ausgegangen werden.
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