EuGH v. 25.11.2025 - C-713/23

Zur Anerkennung der in einem anderen Mitgliedstaat geschlossenen Ehe eines gleichgeschlechtlichen Paares

Die Verweigerung der Anerkennung einer Ehe zweier Unionsbürger, die rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat geschlossen wurde, in dem diese von ihrem Freizügigkeits- und Aufenthaltsrecht Gebrauch gemacht haben, verstößt gegen das Unionsrecht, weil sie diese Rechte sowie das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens beeinträchtigt. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, den in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig erworbenen Familienstand anzuerkennen, damit die durch das Unionsrecht verliehenen Rechte ausgeübt werden können. Diese Verpflichtung ist nicht gleichbedeutend mit der Einführung der Ehe zwischen Personen gleichen Geschlechts im innerstaatlichen Recht.

Der Sachverhalt:
Im Jahr 2018 heirateten die Kläger, zwei polnische Staatsangehörige, die sich in Deutschland aufhalten und von denen einer auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, in Berlin. Da sie nach Polen ziehen und sich dort als Ehepaar aufhalten wollten, beantragten sie die Umschreibung der in Deutschland ausgestellten Eheurkunde im polnischen Personenstandsregister, damit ihre Ehe in Polen anerkannt wird. Der Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, dass das polnische Recht die Ehe zwischen Personen gleichen Geschlechts nicht zulasse. Die Umschreibung der Eheurkunde laufe daher den Grundprinzipien der polnischen Rechtsordnung zuwider. Die Kläger fochten diese ablehnende Entscheidung an.

Das mit der Rechtssache befasste Gericht in Polen hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Es möchte wissen, ob die nationale Regelung, die weder die Anerkennung einer Ehe erlaubt, die Personen gleichen Geschlechts in einem anderen Mitgliedstaat geschlossen haben, noch, dass die Eheurkunde zu diesem Zweck im Personenstandsregister umgeschrieben wird, mit dem Unionsrecht vereinbar ist.

Die Gründe:
Die Regelungen über die Ehe fallen zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, diese müssen bei der Ausübung ihrer Zuständigkeit jedoch das Unionsrecht beachten. Als Unionsbürger haben die Kläger das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten und sowohl im Zuge der Ausübung dieses Rechts als auch nach der Rückkehr in ihren Herkunftsmitgliedstaat ein normales Familienleben zu führen. Insbesondere wenn sie im Aufnahmemitgliedstaat - u.a. durch eine Eheschließung - ein Familienleben aufbauen, müssen sie die Gewissheit haben, dieses fortsetzen zu können, wenn sie in ihren Herkunftsmitgliedstaat zurückkehren.

Die Verweigerung der Anerkennung einer Ehe zweier Unionsbürger gleichen Geschlechts, die rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat geschlossen wurde, in dem diese von ihrem Freizügigkeits- und Aufenthaltsrecht Gebrauch gemacht haben, kann zu schwerwiegenden Nachteilen administrativer, beruflicher und privater Art führen. Diese könnten die Ehegatten dazu zwingen, in ihrem Herkunftsmitgliedstaat als ledige Personen zu leben. Daher verstößt eine solche Verweigerung gegen das Unionsrecht und verletzt sowohl das Freizügigkeits- und Aufenthaltsrecht als auch das Grundrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens.

Eine solche Anerkennungspflicht widerspricht weder der nationalen Identität des Herkunftsmitgliedstaats der Ehegatten, noch gefährdet sie dessen öffentliche Ordnung. Sie hat auch nicht zur Folge, dass dieser Mitgliedstaat in seinem nationalen Recht die Ehe zwischen zwei Personen gleichen Geschlechts vorsehen muss. Zudem verfügen die Mitgliedstaaten hinsichtlich der Auswahl der Modalitäten für die Anerkennung einer solchen Ehe über einen Wertungsspielraum. Bei der Umschreibung einer ausländischen Eheurkunde handelt es sich nur um eine der Modalitäten, die in Frage kommen. Derartige Modalitäten dürfen aber eine Anerkennung weder unmöglich machen oder übermäßig erschweren noch gleichgeschlechtliche Paare wegen ihrer sexuellen Ausrichtung diskriminieren. Dies ist dann der Fall, wenn das nationale Recht für solche Paare keine Anerkennungsmodalität vorsieht, die derjenigen für verschiedengeschlechtliche Paare gleichwertig ist. 

Da es sich bei der Umschreibung um das einzige Mittel handelt, das im polnischen Recht vorgesehen ist, um dafür zu sorgen, dass eine in einem anderen Mitgliedstaat geschlossene Ehe von den Verwaltungsbehörden tatsächlich anerkannt wird, hat Polen sie unterschiedslos sowohl auf Ehen zwischen Personen gleichen Geschlechts als auch auf Ehen zwischen Personen verschiedenen Geschlechts anzuwenden.

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Aufsatz
Entwicklungen im europäischen Personen-, Familien- und Erbrecht 2024–2025
Christian Kohler / Walter Pintens, FamRZ 2025, 1417

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 26.11.2025 14:01
Quelle: EuGH PM Nr. 147 vom 25.11.2025

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