BGH v. 24.9.2025 - XII ZB 513/24

Bestimmung eines Berufsbetreuers statt eines Elternteils zum Verhinderungsbetreuer: Zu Auswahlkriterien und Amtsermittlungspflicht

Die Kriterien des § 1816 Abs. 2 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 BGB gelten auch für die Auswahl eines Verhinderungsbetreuers nach § 1817 Abs. 4 BGB. Ein Elternteil des Betroffenen, der zum Betroffenen persönliche Bindungen unterhält und den der Betroffene wiederholt als Betreuer benannt hat, ist bei der Betreuerauswahl besonders zu berücksichtigen und kann nur dann zugunsten eines Berufsbetreuers übergangen werden, wenn gewichtige Gründe des Wohls des Betreuten einer Bestellung seines Elternteils entgegenstehen (Fortführung von Senatsbeschluss vom 1.3.2023 - XII ZB 285/22 - FamRZ 2023, 1062).

Der Sachverhalt:
Die Betroffene wendet sich gegen die Bestellung eines beruflichen Betreuers als Verhinderungsbetreuer. Die im Jahr 1999 geborene Betroffene leidet an einer geistigen Behinderung im Sinne einer leichten Intelligenzminderung. Für sie ist seit 2017 eine Betreuung mit umfassendem Aufgabenkreis eingerichtet. Nach Einholung eines ärztlichen Zeugnisses sowie persönlicher Anhörung der Betroffenen verlängerte das AG die Betreuung und bestellte den Beteiligten zu 1), den Vater der Betroffenen, zum Betreuer und den Beteiligten zu 2) zum beruflich tätigen Verhinderungsbetreuer. Das LG wies die auf die Auswahl der Person des Verhinderungsbetreuers beschränkte Beschwerde der Betroffenen zurück.

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen hob der BGH den Beschluss des LG auf und verwies die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass die Auswahl des Verhinderungsbetreuers auf verfahrensfehlerhaft zustande gekommenen Feststellungen beruht (§ 26 FamFG).

Nach § 1816 Abs. 2 Satz 1 BGB hat das Betreuungsgericht dem Wunsch des Betroffenen, eine Person zum Betreuer zu bestellen, zu entsprechen, es sei denn, die gewünschte Person ist zur Führung der Betreuung nicht geeignet. Gem. § 1816 Abs. 3 BGB sind, wenn der Betroffene niemanden als Betreuer vorgeschlagen hat, bei der Auswahl des Betreuers die familiären Beziehungen des Volljährigen, insbesondere zum Ehegatten, zu Eltern und zu Kindern, seine persönlichen Bindungen sowie die Gefahr von Interessenkonflikten zu berücksichtigen. Diese Regelung gilt auch, wenn der Betroffene einen Angehörigen als Betreuer wünscht. Denn der Angehörige ist nach Maßgabe dieser Vorschrift "erst recht" zu bestellen, wenn der Betroffene selbst diesen Angehörigen ausdrücklich als Betreuer seiner Wahl benannt hat. Der Senat hat bereits entschieden, dass ein Kind des Betroffenen, das zu diesem persönliche Bindungen unterhält und das der Betroffene wiederholt als Betreuer benannt hat, deshalb bei der Betreuerauswahl besonders zu berücksichtigen sein wird und nur dann zugunsten eines beruflichen Betreuers übergangen werden kann, wenn gewichtige Gründe des Wohls des Betreuten einer Bestellung seines Kindes entgegenstehen. Für einen Elternteil eines Betreuten, der ähnlich enge persönliche Kontakte zum Betreuten unterhält, gilt nichts Anderes. Ebenso differenziert § 1816 BGB nicht zwischen dem Hauptbetreuer nach § 1817 Abs. 1 BGB und dem Verhinderungsbetreuer nach § 1817 Abs. 4 BGB.

Nicht geeignet als Betreuer ist nach § 1816 Abs. 1 BGB derjenige, der nicht willens oder in der Lage ist, in dem gerichtlich angeordneten Aufgabenkreis nach Maßgabe des § 1821 BGB die Wünsche und den mutmaßlichen Willen des Betreuten zu ermitteln und adäquat umzusetzen und in dem hierfür erforderlichen Umfang persönlichen Kontakt mit dem Betreuten zu halten. Dies stellt auch an die tatrichterliche Ermittlungspflicht besondere Anforderungen. Der Tatrichter wird solche Gründe, die möglicherweise in der Person des vom Betroffenen als Betreuer benannten Angehörigen liegen, verlässlich nur feststellen können, wenn er diesem Gelegenheit gegeben hat, zu diesen Gründen Stellung zu nehmen. Es verstößt gegen den Amtsermittlungsgrundsatz, wenn der Tatrichter in seiner Entscheidung ausdrücklich die Eignung des benannten Elternteils zum Betreueramt oder dessen Redlichkeit in Zweifel zieht und sich hierbei auf Mitteilungen Dritter beruft, ohne zuvor den als Betreuer vorgeschlagenen Elternteil - bei gravierenden Vorwürfen sogar regelmäßig persönlich - zu den von Dritten mitgeteilten Tatsachen anzuhören. Eine solche Verfahrensweise wäre schon allgemein als Grundlage einer Betreuerauswahl, bei der ein Berufsbetreuer einem möglichen ehrenamtlichen Betreuer - aufgrund dessen angeblich fehlender Eignung und mangelnder Redlichkeit - vorgezogen wird, bedenklich. Als tatrichterliche Basis einer Entscheidung, durch die ein Elternteil des Betroffenen, obschon mit diesem persönlich verbunden und von diesem wiederholt als Betreuer benannt, als Betreuer übergangen wird, ist eine solche Verfahrensweise jedoch jedenfalls rechtsfehlerhaft.

Das beschwerdegerichtliche Vorgehen erfüllt diese verfahrensrechtlichen Anforderungen nicht, so dass die Beschwerdeentscheidung unter Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 26 FamFG) ergangen ist. Die Betroffene hat sowohl erstinstanzlich als auch in der Beschwerdeschrift wiederholt zum Ausdruck gebracht, nur ihre Eltern als Betreuer zu wünschen. Die - diesem Wunsch nicht entsprechende - Überzeugungsbildung des LG, dass die Mutter der Betroffenen als ungeeignet für die Übernahme des Amts der Verhinderungsbetreuerin anzusehen sei, setzt daher verfahrensrechtlich voraus, dass die Mutter zunächst mit den Mitteilungen Dritter, auf die das LG seine Zweifel an ihrer Eignung und Redlichkeit stützen will, konfrontiert wird und Gelegenheit erhält, sich hierzu vor Gericht zu äußern. Eine solche Gelegenheit ist ihr - soweit ersichtlich - bisher nicht eingeräumt worden. Damit sind die an eine ermessensfehlerfreie amtswegige Tatsachenermittlung zu stellenden Anforderungen nicht erfüllt.

Mehr zum Thema:

Kommentierung | BGB
§ 1816 Eignung und Auswahl des Betreuers; Berücksichtigung der Wünsche des Volljährigen
Roth in Erman, BGB, 17. Aufl. 2023
09/2023

Kommentierung | BGB
§ 1817 Mehrere Betreuer; Verhinderungsbetreuer; Ergänzungsbetreuer
Roth in Erman, BGB, 17. Aufl. 2023
09/2023 

Kommentierung | FamFG
§ 26 Ermittlung von Amts wegen
Prütting in Prütting/Helms, FamFG, Kommentar, 6. Aufl. 2023
6. Aufl./Lfg. 09.2022

Rechtsprechung (siehe Leitsätze)
§§ 26, 68 III, 278 I FamFG, 1816 II BGB: Persönliche Anhörung nach neuem Sachverständigengutachten
BGH vom 01.03.2023 - XII ZB 285/22
FamRZ 2023, 1062

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 17.11.2025 10:10
Quelle: BGH online

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