BGH v. 8.10.2025 - IV ZR 161/24
Verlust bei einer Geldüberweisung: Fälschung einer Kontobezeichnung durch einen unbekannten Dritten
Die Gefahr des Verlusts bei einer Geldüberweisung geht bei einem unwahrscheinlichen Kausalverlauf (hier: Fälschung einer Kontobezeichnung durch einen unbekannten Dritten) nicht nach dem Rechtsgedanken des § 270 Abs. 3 BGB i.V.m. § 242 BGB auf den Gläubiger über.
Der Sachverhalt:
Die Parteien sind die Kinder des 2019 verstorbenen Erblassers, der von den Beklagten im Wege der testamentarischen Erbfolge beerbt wurde. Die Klägerin machte gegen die Beklagten vorgerichtlich ihren Pflichtteilsanspruch geltend. Die vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten (im Folgenden: Klägervertreterin/Beklagtenvertreter) handelten daraufhin einen Vergleich mit dem Inhalt aus, dass die Beklagten an die Klägerin zur Abgeltung ihres Pflichtteilsanspruchs einen Betrag i.H.v. 30.000 € zahlen, wobei die Zahlung auf das Anderkonto der Klägervertreterin bei der Kreissparkasse K erfolgen sollte.
Der Beklagtenvertreter übermittelte der Klägervertreterin in der Folge am 21.2.2022 eine von ihm gefertigte schriftliche Fassung des zuvor ausgehandelten Vergleichs über sein beA zur Prüfung und Unterschrift. Als Empfängerkonto war im Vergleichstext absprachegemäß das Anderkonto der Klägervertreterin unter Angabe einer konkreten IBAN aufgeführt. Die Klägervertreterin druckte das Dokument aus, unterzeichnete es und übersandte es dem Beklagtenvertreter auf dem Postweg.
Das Schreiben wurde zu einem unbekannten Zeitpunkt nach Unterzeichnung durch die Klägervertreterin und vor dessen Eingang am 2.3.2022 beim Beklagtenvertreter von einer bislang unbekannten Person ohne Kenntnis der Klägerin oder ihrer Vertreterin dahingehend geändert, dass die Angabe des Kontos bei der Kreissparkasse K nebst IBAN durch die Bezeichnung eines Kontos bei der I AG mit einer von der ursprünglichen Angabe im Vertragstext abweichenden IBAN ersetzt wurde. Der Inhaber des bei der I AG geführten Kontos ist unbekannt. In Unkenntnis dieser Fälschung unterzeichnete der Beklagtenvertreter das übermittelte Dokument am 11.3.2022 und versandte es ohne Hinweis auf etwaige Änderungen an die Klägervertreterin, bei der es am 14.3.2022 eintraf.
Am 17. und 21.3.2022 überwiesen die Beklagten jeweils 10.000 € auf das im Text des von beiden Vertretern unterzeichneten Vergleichs nunmehr aufgeführte Konto bei der I AG. In der Folgezeit unternommene Versuche der Beklagten, die überwiesenen Beträge zurückzuerlangen, scheiterten. Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin Zahlung des vereinbarten Betrags i.H.v. 30.000 € nebst Zinsen sowie Ersatz eines Verzugsschadens.
Das LG wies die Klage ab; das OLG gab ihr ganz überwiegend statt und verurteilte die Beklagten unter Abweisung der Klage im Übrigen gesamtschuldnerisch zur Zahlung von 30.000 € nebst Zinsen. Die Revision der Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Das OLG ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Klägerin aus dem mit den Beklagten geschlossenen Vergleich (§ 779 BGB) gegen diese als Gesamtschuldner ein Anspruch auf Zahlung i.H.v. 30.000 € zusteht, der durch die Überweisungen der Beklagten vom 17. und 21.3.2022 auf das Konto bei der I AG nicht erloschen ist.
Gem. § 362 Abs. 1 BGB erlischt das Schuldverhältnis, wenn die geschuldete Leistung an den Gläubiger bewirkt wird. Bewirkt ist die Leistung i.S.d. § 362 BGB erst mit dem Eintritt des Leistungserfolges. Eine Geldschuld kann anstatt durch Barzahlung auch im Wege einer Banküberweisung getilgt werden, wenn die Parteien dies vereinbart haben. Der geschuldete Leistungserfolg ist vorbehaltlich einer - hier nicht getroffenen - anderweitigen Vereinbarung der Parteien erst dann herbeigeführt, wenn der geschuldete Betrag dem Konto des Gläubigers vorbehaltlos gutgeschrieben wird. Die Parteien können auch vereinbaren, dass die geschuldete Leistung mit befreiender Wirkung auf das Konto eines Dritten zu überweisen ist. Vorliegend ist Erfüllung weder nach § 362 Abs. 1 BGB noch nach § 362 Abs. 2 i.V.m. § 185 BGB eingetreten. Denn durch die Überweisungen der Beklagten auf das Konto des Dritten bei der I AG wurde die Leistung weder unmittelbar an die Klägerin bewirkt noch haben die Beklagten mit befreiender Wirkung an den Inhaber dieses Kontos geleistet. Ist Erfüllung mithin nicht eingetreten, sind die Beklagten auch nach den allgemeinen Gefahrtragungsregeln weiterhin zur Leistung an die Klägerin verpflichtet, denn sie tragen die Verlustgefahr.
Gem. § 270 Abs. 1 BGB hat der Schuldner Geld im Zweifel auf seine Gefahr dem Gläubiger an dessen Wohnsitz zu übermitteln. Damit obliegt dem Schuldner bei Geldleistungen bis zur Erfüllung grundsätzlich das Verlustrisiko. Dies ist nicht anders zu bewerten, wenn im Wege der Überweisung erfüllt wird. Auch die Vorschrift des § 270 Abs. 3 BGB, wonach der Gläubiger die Gefahr zu tragen hat, wenn sich infolge einer nach der Entstehung des Schuldverhältnisses eintretenden Änderung des Wohnsitzes oder der gewerblichen Niederlassung des Gläubigers die Gefahr der Übermittlung erhöht, führt hier zu keiner abweichenden Verteilung der Verlustgefahr. Dies folgt auch nicht aus dem dieser Vorschrift zugrundeliegenden Rechtsgedanken.
Die Berücksichtigung sämtlicher äquivalent kausaler Verhaltensweisen des Gläubigers bei der Beantwortung der Frage, ob der Gläubiger einen gefahrerhöhenden Umstand geschaffen hat, hätte zur Folge, dass auch gänzlich fernliegende Ursachen zu einem Gefahrübergang führen würden. Die Auferlegung des hiermit einhergehenden Rechtsnachteils auf den Gläubiger ist in Anlehnung an die im Schadensersatzrecht geltenden Grundsätze zur Zurechnung von Schadensfolgen aber dann nicht gerechtfertigt, wenn die durch das Verhalten des Gläubigers geschaffene Gefahrerhöhung auf einem gänzlich unwahrscheinlichen Kausalverlauf beruht. Denn wie im Schadensersatzrecht dem Schädiger können derartige Kausalverläufe im Anwendungsbereich der Gefahrtragungsregeln dem Gläubiger billigerweise rechtlich nicht mehr zugeordnet werden. Das Ereignis muss demnach im Allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet sein, einen Erfolg der eingetretenen Art - hier die Fälschung der Urkunde - herbeizuführen.
Danach wäre die Fälschung nicht der Sphäre der Klägerin zuzurechnen. Denn es entspricht nicht dem gewöhnlichen, sondern stellt vielmehr einen unwahrscheinlichen Kausalverlauf dar, dass nach Übergabe einer verschlossenen Postsendung an ein Postbeförderungsunternehmen diese unter Verletzung des Briefgeheimnisses geöffnet und ihr Inhalt im Wege der Urkundenfälschung in betrügerischer Absicht verändert wird. Dies folgt bereits aus der Lebenserfahrung, aber auch aus dem Umstand, dass Anbieter von Postdienstleistungen eine für diese Tätigkeit erforderliche Zuverlässigkeit und darüber hinaus auch Leistungsfähigkeit oder Fachkunde besitzen müssen. Zwar verhindert auch die Überprüfung dieser Kriterien durch die Bundesnetzagentur nicht mit letzter Sicherheit die Begehung von Straftaten durch Beschäftigte eines Postbeförderungsunternehmens oder unternehmensfremde Dritte anlässlich der Postbeförderung. Sie gewährleistet aber ein allgemein hohes Niveau an Zuverlässigkeit bei der Beförderung von Postsendungen, das Eingriffe der vorliegenden Art eher unwahrscheinlich macht.
Mehr zum Thema:
Kommentierung | BGB
§ 242 Leistung nach Treu und Glauben
Böttcher in Erman, BGB, 17. Aufl. 2023
09/2023
Kommentierung | BGB
§ 270 Zahlungsort
Artz in Erman, BGB, 17. Aufl. 2023
09/2023
Beratermodul Zivilrecht und Zivilverfahrensrecht
Otto Schmidt Answers ist in diesem Modul mit 5 Prompts am Tag enthalten! Nutzen Sie die Inhalte in diesem Modul direkt mit der KI von Otto Schmidt. Jetzt neu und zusätzlich mit der GVRZ - Zeitschrift für das gesamte Verfahrensrecht! 4 Wochen gratis nutzen!

