OLG Köln v. 8.5.2025 - 14 UF 14/25
Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge wegen haltlosem Vorwurf sexuellen Missbrauchs
Eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Kindeseltern ist zu verneinen, wenn ein Elternteil dem Anderen über Jahre einen sexuellen Missbrauch des gemeinsamen Kindes unterstellt, obwohl alle durchgeführten Ermittlungsmaßnahmen keinerlei Hinweise auf die Richtigkeit der Behauptung ergeben haben. Eine Basis für eine kindeswohlorientierte Kommunikation zwischen den Kindeseltern liegt nicht vor, wenn der eine Elternteil dem Anderen fortdauernde Manipulationen, Provokationen und Bedrohungen gegenüber ihm und dem gesamten Helfersystem vorwirft und jede direkte Kontaktaufnahme verweigert.
Der Sachverhalt:
Die Kindeseltern waren nie miteinander verheiratet und lebten im Zeitpunkt der Geburt ihres Sohnes M. im Jahr 2017 in getrennten Haushalten. M. lebte nach seiner Geburt zunächst im Haushalt der Mutter. Zudem wurde die gemeinsame elterliche Sorge eingerichtet. Der Vater bemühte sich darum, regelmäßige Umgangskontakte mit M. wahrnehmen zu können. Hierüber kam es zu Konflikten zwischen den Eltern. Die Umgänge waren in den vergangenen Jahren Gegenstand mehrerer gerichtlicher Verfahren, da die Mutter dem Vater wiederholt einen sexuellen Missbrauch des Kindes vorgeworfen hatte. Die strafrechtlichen Verfahren wurden jeweils nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
Der Vater beantragte, ihm wegen Schwierigkeiten bei der Wahrnehmung des Umgangsrechts die elterliche Sorge für M. zur alleinigen Ausübung zu übertragen. Das AG holte ein Gutachten zu der Frage ein, welche Sorgerechtsregelung dem Kindeswohl am besten diene. Nach dem Gutachten ergaben sich keinerlei Anhaltspunkte auf einen sexuellen Missbrauch des Jungen. In einem weiteren Verfahren regelte das AG die Umgänge des Kindesvaters mit dem Jungen dahingehend, dass diese an einem Tag in der Woche und alle zwei Wochen am Wochenende stattfinden sollten. Auch in diesem Verfahren erhob die Kindesmutter den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs gegenüber dem Vater, ohne dass objektive Anhaltspunkte hierfür bestanden.
Auf Vorschlag des Jugendamtes wurde eine Diagnostik des Kindes in der Kinderschutzambulanz durchgeführt. Es wurde festgestellt, dass es keinerlei Anhaltspunkte für einen sexuellen Missbrauch des Kindes gebe, jedoch einen massiven Loyalitätskonflikt des Kindes aufgrund des hochstrittigen Elternsystems. Das Kind habe zu beiden Elternteilen eine gleichwertig positive emotionale Beziehung. Kritisch und als das seelische Wohl des Kindes schädigend wurde die strittige Elternebene beschrieben. Außerdem hat die Kinderschutzambulanz berichtet, dass sich die behandelnde Psychologin der Kindesmutter gemeldet habe, um mitzuteilen, dass sie große Sorgen um das Kind ihrer Patientin habe. Nach ihrer Einschätzung käme es zu einer massiven Steigerung des „wahnhaften Erlebens“ der Kindesmutter bezüglich der bekannten Verdachtsmomente. Das Kind könne in eine bedrohliche Lage geraten, da die Kindesmutter gesagt habe, dass „wohl erst was ganz Schlimmes passieren müsse, damit etwas geschieht“.
Daraufhin übertrug das AG mit einstweiliger Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht gem. § 1671 BGB auf den Kindesvater. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Kindesmutter blieb erfolglos. Im Hauptsacheverfahren hat das AG das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf den Kindesvater übertragen und seinen Antrag auf Übertragung der alleinigen Sorge im Übrigen sowie den Antrag der Kindesmutter auf Übertragung der elterlichen Sorge zurückgewiesen. Auf die Beschwerde des Kindesvaters hat das OLG den Beschluss des AG dahingehend abgeändert, dass das Sorgerecht für den Jungen insgesamt dem Kindesvater zur alleinigen Ausübung übertragen wird. Die Beschwerde der Kindesmutter wurde zurückgewiesen.
Die Gründe:
Leben die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern nicht nur vorübergehend getrennt, ist gem. § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB einem Elternteil auf seinen Antrag auch ohne Zustimmung des anderen Elternteils die elterliche Sorge allein zu übertragen, wenn dies dem Kindeswohl am besten entspricht.
Der gemeinsamen Sorge steht u.a. eine schwerwiegende und nachhaltige Störung der Kommunikation der Eltern entgegen, soweit diese befürchten lässt, dass den Eltern eine gemeinsame Entscheidungsfindung nicht möglich sein wird und das Kind erheblich belastet würde, würde man seine Eltern zwingen, die Sorge gemeinsam zu tragen. Dabei ist die Kommunikation der Eltern schwer und nachhaltig gestört, wenn sie regelmäßig nicht in der Lage sind, sich in der gebotenen Weise sachlich über die Belange des Kindes auszutauschen und auf diesem Wege zu einer gemeinsamen Entscheidung zu gelangen. Dann ist zu prüfen, ob hierdurch eine erhebliche Belastung des Kindes zu befürchten ist. Notwendig ist die Einschätzung im Einzelfall, dass der Elternkonflikt so nachhaltig und so tiefgreifend ist, dass gemeinsame, dem Kindeswohl dienliche Entscheidungen der Eltern in den wesentlichen Belangen der elterlichen Sorge auch für die Zukunft nicht gewährleistet sind.
Infolgedessen lagen hier die Voraussetzungen für die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge insgesamt vor. Die Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge schied insgesamt aus Kindeswohlgründen aus. Es fehlte offensichtlich an einer tragfähigen sozialen Beziehung zwischen den Kindeseltern, die nicht zu einer Kooperation und Kommunikation zum Wohle des Kindes in der Lage sind. Eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Kindeseltern ist zu verneinen, wenn ein Elternteil dem Anderen über Jahre einen sexuellen Missbrauch des gemeinsamen Kindes unterstellt, obwohl alle durchgeführten strafrechtlichen wie kinderschutzrechtlichen Ermittlungsmaßnahmen keinerlei Hinweise auf die Richtigkeit der Behauptung ergeben haben. Eine Basis für eine kindeswohlorientierte Kommunikation zwischen den Kindeseltern liegt nicht vor, wenn der eine Elternteil dem Anderen fortdauernde Manipulationen, Provokationen und Bedrohungen gegenüber ihm und dem gesamten Helfersystem vorwirft und jede direkte Kontaktaufnahme verweigert.
Die Aufhebung der gesamten gemeinsamen elterlichen Sorge war damit alternativlos und entsprach den Anträgen der Fachbeteiligten. Sowohl die Verfahrensbeiständin als auch die Mitarbeiterin des Jugendamtes wie auch die Sachverständigen hatten sich hierfür ausgesprochen. Weiter war die elterliche Sorge auf den Kindesvater zu übertragen. Dieser ist uneingeschränkt erziehungsfähig, während bei der Kindesmutter erhebliche Einschränkungen in der Erziehungsfähigkeit bestehen. Auch die weiteren relevanten Kriterien sprachen entweder für den Kindesvater oder aber zumindest nicht gegen diesen.
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