OLG Hamburg v. 23.6.2025 - 12 WF 31/25
Erforderlichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts in einem Vaterschaftsfeststellungsverfahren
Die Erforderlichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts beurteilt sich zudem nach den subjektiven Fähigkeiten des betroffenen Beteiligten. Allein die existentielle Bedeutung der Sache kann die Beiordnung eines Rechtsanwalts nach neuem Recht dagegen nicht mehr begründen In einem Vaterschaftsfeststellungsverfahren ist eine Beiordnung des Verfahrensbevollmächtigten wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage i.S.d. § 78 Abs. 2 FamFG im Einzelfall erforderlich, wenn die Beteiligten unterschiedliche Verfahrensziele verfolgen.
Der Sachverhalt:
Das betroffene minderjährige Kind lässt sich durch das Jugendamt als Beistand vertreten. Dieser hatte am 13.3.2025 einen Antrag auf Feststellung der Vaterschaft des Antragsgegners eingereicht. Der Antragsgegner habe in der gesetzlichen Empfängniszeit mit der Mutter des Kindes geschlechtlich verkehrt. Darüber hinaus habe die Mutter im Empfängniszeitraum mit Herrn O. geschlechtlich verkehrt. Dessen Kontaktdaten seien der Mutter nicht bekannt. Der Antragsgegner ist vom Beistand vergeblich zur Anerkennung der Vaterschaft aufgefordert worden. Er hat erklärt, dass er im Empfängniszeitraum nicht mit der Mutter verkehrt habe und zuvor im Iran eine Vasektomie durchgeführt habe.
Die Mutter hat die Angaben des Beistandes mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 31.3.2025 bestätigt und um die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Verfahrensbevollmächtigten beantragt. Das AG hat der Mutter Verfahrenskostenhilfe bewilligt. Eine Beiordnung ihrer Verfahrensbevollmächtigten hat es abgelehnt. Die Sach- und Rechtslage gestalte sich für die Kindesmutter einfach, da ihre Mutterschaft feststehe und sie lediglich als Auskunftsperson (Anhörung) und im Rahmen der Begutachtung beteiligt sei. Zur Förderung des Verfahrens bedürfe es auch keiner eigenen Anträge. Das antragstellende Kind sei durch das Jugendamt vertreten.
Auf die sofortige Beschwerde der Mutter hat das OLG den Beschluss des AG abgeändert und der Mutter die Rechtsanwältin A. beigeordnet.
Die Gründe:
Gem. § 78 Abs 2 FamfG wird, wenn eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht vorgeschrieben ist, dem Beteiligten auf seinen Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt seiner Wahl beigeordnet, wenn wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint.
Nach BGH-Rechtsprechung kann sich das Verfahren für einen Beteiligten allein wegen einer schwierigen Sach- oder Rechtslage so kompliziert darstellen, dass auch ein bemittelter Beteiligter einen Rechtsanwalt hinzuziehen würde. Die Erforderlichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts beurteilt sich zudem nach den subjektiven Fähigkeiten des betroffenen Beteiligten. Allein die existentielle Bedeutung der Sache kann die Beiordnung eines Rechtsanwalts nach neuem Recht dagegen nicht mehr begründen (BGH v. 27.1.2016 - XII ZB 639/14, FamRZ 2016, 531). In einem Vaterschaftsanfechtungsverfahren hat der BGH weiter ausgeführt, dass wegen der besonderen Schwierigkeit des Abstammungsverfahrens im Rahmen der bewilligten Verfahrenskostenhilfe nicht nur hinsichtlich des Antragstellers, sondern auch für die weiteren Beteiligten regelmäßig eine Anwaltsbeiordnung geboten ist.
Ob dies auch für das Vaterschaftsfeststellungsverfahren gilt, ist bisher in der Rechtsprechung und Literatur umstritten. Einerseits wird vertreten, dass einfach gelagerte Vaterschaftsfeststellungsverfahren regelmäßig keine erheblichen Schwierigkeiten in der Sach- und Rechtslage aufweisen. Daher bedürfe es auch für den sich gegen die Feststellung wendenden potentiellen Vater im Allgemeinen keiner anwaltlichen Beiordnung (vgl. OLG Oldenburg v. 9.3.2015 - 14 WF 38/15, FamRB 2015, 214).
Teilweise wird vertreten, dass den Beteiligten im Abstammungsverfahren bereits wegen dessen existentieller Bedeutung und der Verfahrensausgestaltung ein Rechtsanwalt beizuordnen ist (OLG Celle, v. 17.11.2011 - 15 WF 230/11, FamRZ 2012, 467; OLG Frankfurt v. 17.12.2009 – 5 WF 267/09). Dies gelte nicht nur für den Antragsteller, sondern für sämtliche am Verfahren Beteiligten (OLG Brandenburg, B. v. 10.10.2013 – 3 WF 116/13, FamRZ 2014, 586).
Schließlich wird im Vaterschaftsfeststellungsverfahren eine Beiordnung für erforderlich erachtet, wenn die Beteiligten gegensätzliche Ziele verfolgen. Dann sei sowohl dem Antragsteller auch der Mutter ein Anwalt beizuordnen. Bei gleichgelagerten Zielen sei eine Beiordnung nicht erforderlich. Die besondere Bedeutung des Verfahrens für sich genommen reiche für eine Beiordnung jedenfalls nicht aus (vgl. OLG Koblenz v. 3.1.2011 - 13 WF 1144/10, FamRZ 2011, 914; OLG Stuttgart v. 8.4.2011 – 15 WF 65/11, FamFR 2011, 282). Dieser Meinung schließt sich der Senat an.
Eine Beiordnung der Verfahrensbevollmächtigten ist hier wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage i.S.d. § 78 Abs. 2 FamFG erforderlich. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass gegen den Antragsgegner Zwangsmaßnahmen ergriffen werden müssen, um eine Anwesenheit im Termin zur Erörterung gem. § 175 FamFG zu gewährleisten und eine Abstammungsuntersuchung gem. § 178 FamFG durchzusetzen. Dies führt zur erforderlichen Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage im Einzelfall.
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