OLG Frankfurt a.M. 2.6.2025 - 6 UFH 2/25

Voraussetzungen für Zuständigkeitsbestimmung nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG

Die Voraussetzungen für eine Bestimmung der Zuständigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG liegen nicht vor, wenn ein anderes als das Ausgangsgericht ein Vorprüfungsverfahren nach § 166 Abs. 2 FamFG an ein anderes Amtsgericht nach § 3 FamFG verweist. Wird ein Amtsgericht um Vorprüfung nach § 166 Abs. 2 FamFG ersucht, obwohl es weder das Ausgangsgericht ist noch das Kind seinen regelmäßigen Aufenthalt in seinem Zuständigkeitsbereich hat, kann es das Verfahren nicht nach § 3 FamFG verweisen.

Der Sachverhalt:
Ein 2014 geborenes Kind war 2019 in Obhut genommen worden und lebte bis zu seinem 11. Lebensjahr in einer Einrichtung. Mit Beschluss vom 25.8.2022 hat das örtlich zuständige AG Bad Schwalbach den Eltern im Wege der einstweiligen Anordnung Teilbereiche der elterlichen Sorge entzogen und eine Ergänzungspflegerin bestellt. Das Kind wechselte in eine Familienwohngruppe, die zum Bereich der örtlichen Zuständigkeit des AG Kehl gehört. Das AG Offenburg hat mit Beschluss vom 28.10.2024 den Kindeseltern die elterliche Sorge entzogen, Vormundschaft angeordnet und die Ergänzungspflegerin als Vormundin bestellt.

Die Kindeseltern haben am 21.3.2024 beim AG Dieburg formlos das Sorgerecht beantragt. Sie waren der Ansicht, aus § 152 FamFG ergebe sich eine örtliche Zuständigkeit des AG, an dem die Vormundschaft ausgeübt werde. Das AG hat eine Einwohnermeldeamtsauskunft eingeholt, die Vormundin hat die Anschrift der Familienwohngruppe mitgeteilt. Die Auskunft und das Schreiben der Vormundin werden wegen einer Auskunftssperre in einer gesonderten Akte geführt. Nach Anhörung der Kindeseltern hat das AG Dieburg am 7.4.2025 erklärt, dass es unzuständig sei und dass es das Verfahren an das AG Kehl verweist, da das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in dessen Zuständigkeitsbereich hat. Mit Beschlüssen vom 8.4.2025 und 19.5.2025 hat das AG Kehl ausgesprochen, dass es das beim AG Dieburg geführte Verfahren nicht übernimmt und es den Verweisungsbeschluss vom 7.4.2025 mangels Wirksamkeit als nicht bindend behandelt.

Das AG Kehl hat darauf hingewiesen, dass sich der Akte der aktuelle Aufenthalt des Kindes nicht klar entnehmen lasse. Schließlich stellte aber der Schriftsatz der Eltern keinen Antrag i.S.d. § 24 FamFG dar, sondern sei als Anregung zur Einleitung eines unselbständigen Über- bzw. Vorprüfungsverfahrens nach § 166 Abs. 2 FamFG zu behandeln sei, in dem zunächst darüber befunden werden müsse, ob ein Abänderungsverfahren nach § 166 Abs. 1 FamFG geführt werden soll. Damit habe sich das Ausgangsgericht, das AG Offenburg, zu befassen.

Nach Ansicht des AG Kehl hätte das - unstreitig nicht örtlich zuständige - AG Dieburg die Einleitung eines Über- bzw. Vorprüfungsverfahrens mangels örtlicher Zuständigkeit ablehnen und die Kindeseltern hiervon unterrichten müssen (§ 24 Abs. 2 FamFG) oder bzw. ggf. und gleichzeitig das Ersuchen an das AG Offenburg weiterleiten müssen. Alternativ hätte auch eine formlose Weiterleitung an das AG Kehl erfolgen können. Insofern sei die Verweisung objektiv willkürlich und nicht wirksam.

Die daraufhin durch das AG Dieburg angestrebte Abgabe des Verfahrens an das AG Offenburg hat dieses unter Verweisung auf den bestehenden Zuständigkeitsstreit abgelehnt. Das AG Dieburg hat dem OLG Frankfurt a.M. die Akte unter Berufung auf § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG zur Bestimmung der Zuständigkeit vorgelegt. Dieses hat die Bestimmung des zuständigen Gerichts abgelehnt.

Die Gründe:
Die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 5 Abs. 1 FamFG war abzulehnen, weil die Voraussetzungen des einzig in Betracht kommenden § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG nicht vorlagen.

§ 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG greift nur, wenn ein Kompetenzkonflikt zwischen verschiedenen Gerichten in einer bereits anhängigen Sache besteht. Für den von § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG erfassten negativen Kompetenzkonflikt ist es erforderlich, dass alle als zuständig in Betracht kommenden Gerichte, bei denen die Sache anhängig ist, die Zuständigkeit ablehnen. Es genügt nicht, dass eines von zwei sich streitenden Gerichten ein drittes Gericht für zuständig erachtet, zum Begriff des Zuständigkeitsstreites gehört, dass von den beteiligten Gerichten mindestens zwei wissen, dass das jeweils andere mit der gleichen Angelegenheit befasst ist und dass jedes das andere für zuständig hält.

Die Voraussetzungen für eine Bestimmung der Zuständigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG liegen zudem nicht vor, wenn ein anderes als das Ausgangsgericht ein Vorprüfungsverfahren nach § 166 Abs. 2 FamFG an ein anderes Amtsgericht nach § 3 FamFG verweist. Wird ein Amtsgericht um Vorprüfung nach § 166 Abs. 2 FamFG ersucht, obwohl es weder das Ausgangsgericht ist noch das Kind seinen regelmäßigen Aufenthalt in seinem Zuständigkeitsbereich hat, kann es das Verfahren nicht nach § 3 FamFG verweisen.

Zur Klarstellung war der Beschluss des AG Dieburg vom 7.4.2025 aufzuheben, weil ihm die eigentlich in § 3 Abs. 3 Satz 2 FamFG vorgesehene Bindungswirkung fehlt. Für den Ausspruch einer Verweisung durch das AG Dieburg fehlte es an jeglicher rechtlicher Grundlage und er ist offensichtlich unhaltbar. Durch die bei einem keinesfalls örtlich zuständigen Gericht eingereichte Anregung, ein Über- bzw. Vorprüfungsverfahren nach § 166 Abs. 2 FamFG einzuleiten, wird keine Anhängigkeit eines solchen Verfahrens oder eines Abänderungsverfahrens begründet. Es handelt sich lediglich um eine Anregung i.S.d. § 24 Abs. 1 FamFG. Die Anhängigkeit eines Verfahrens ist aber Voraussetzung für den Ausspruch einer Verweisung nach § 3 FamFG.

Für das weitere Verfahren wird darauf hingewiesen, dass das AG Dieburg gehalten ist, das AG Offenburg über die Aufhebung des Beschlusses vom 7.4.2024 in Kenntnis zu setzen und die mit Schriftsatz vom 24.3.2025 erfolgte Anregung der Kindeseltern zur weiteren Veranlassung an das AG Offenburg zu übermitteln. Dieses wird dann zu entscheiden haben, ob es das Über- bzw. Vorprüfungsverfahren abschließend in eigener Zuständigkeit durchführt oder zuständigkeitshalber an das Amtsgericht Kehl verweist oder das AG Kehl um Übernahme ersucht.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 24.06.2025 07:27
Quelle: LaReDa Hessen

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