BGH v. 9.4.2025 - XII ZB 163/24
Wahrung der Rechtsmittelfrist durch elektronisch beim unzuständigen Gericht eingegangenen und postalisch rechtzeitig weitergeleiteten Schriftsatz
Ein elektronisch beim unzuständigen Gericht eingegangener Schriftsatz wahrt die Rechtsmittelfrist auch dann, wenn dieser bei einer postalischen Übersendung an das zuständige Rechtsmittelgericht dort innerhalb der noch offenen Rechtsmittelfrist eingeht (im Anschluss an Senatsbeschluss BGHZ 242, 112 = FamRZ 2025, 190).
Der Sachverhalt:
Der Kläger begehrt im vorliegenden Verfahren die Herausgabe eines an den Beklagten verpachteten Grundstückes und die Beseitigung der vom Beklagten auf diesem Grundstück deponierten Materialien. Das LG wies die Klage ab. Gegen das ihm am 30.6.2023 zugestellte Urteil legte der Kläger mit einem am 26.7.2023 beim LG eingegangenen und an dieses adressierten Schriftsatz per beA Berufung ein. Auf der ausgedruckten Berufungsschrift verfügte der zuständige Richter unter dem Datum des 28.7.2023, einem Freitag, handschriftlich die Weiterleitung "im Original" an das zuständige OLG. Diese Verfügung wurde durch die Geschäftsstelle am 1.8.2023 ausgefertigt und zur Post gegeben. Am 3.8.2023 ging die Berufungsschrift beim OLG ein.
Nachdem der Kläger auf die Unzulässigkeit seiner Berufung hingewiesen worden war, beantragte er mit Schriftsatz vom 19.9.2023 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist. Zur Begründung trug er vor, die Frist zur Einlegung der Berufung sei nebst Vorfrist im Fristenkalender eingetragen worden. Am 26.7.2023 habe sein Prozessbevollmächtigter die Berufungsschrift diktiert und diese einer Kanzleimitarbeiterin zur Erstellung des Schriftsatzes und zur Vorbereitung der Versendung per beA übergeben. Da entgegen den üblichen Kanzleiabläufen für das Berufungsverfahren keine neue Akte, sondern lediglich eine Unterakte angelegt worden sei, sei bei der Erstellung der Berufungsschrift das bereits aus der Vorinstanz hinterlegte LG als Adressat übernommen worden. Als seinem Prozessbevollmächtigten der Schriftsatz zur Prüfung und Unterfertigung vorgelegt worden sei, habe dieser seine Mitarbeiterin aufgefordert, die fehlerhafte Adressierung zu ändern. Bei der Versendung des Schriftsatzes sei eine erneute Überprüfung dann nicht mehr erfolgt. Dies sei allerdings für eine etwaige Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung nicht ursächlich geworden. Die am 26.7.2023 beim LG eingegangene Berufungsschrift hätte, insbesondere durch eine elektronische Übermittlung, im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs so rechtzeitig an das zuständige OLG weitergeleitet werden können, dass die Frist habe gewahrt werden können.
Das OLG wies den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurück und verwarf die Berufung. Die Rechtsbeschwerde des Klägers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Das OLG hat die Berufung zu Recht gem. § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig verworfen, weil der Kläger die einmonatige Frist des § 517 ZPO zur Einlegung der Berufung, die mit Ablauf des 31.7.2023 endete, nicht gewahrt hat. Wird eine Berufungsschrift an das unzuständige LG gesendet und geht sie bei dem Berufungsgericht, bei dem sie gem. § 519 Abs. 1 ZPO hätte eingereicht werden müssen, erst nach Fristablauf ein, hat die Partei die Berufungsfrist versäumt. Hiervon ist das OLG im Streitfall zutreffend ausgegangen.
Der Kläger konnte nicht erwarten, dass die Geschäftsstelle des LG die Berufungsschrift auf elektronischem Weg an das OLG weiterleiten und auf diese Weise den fristgerechten Eingang des Schriftsatzes sicherstellen werde. Dem steht bereits entgegen, dass im vorliegenden Fall eine elektronische Weiterleitung von Schriftsätzen zwischen dem LG und dem zuständigen OLG jedenfalls zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang entsprach. Zwar sind die Akten beim LG nach dem Runderlass des Hessischen Ministeriums der Justiz vom 13.2.2023 zur Änderung des Erlasses zur elektronischen Aktenführung bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften (1510 - I/A4 - 2017/17448-I/A - JMBl. S. 394) seit dem 1.3.2023 in elektronischer Form zu führen.
Die Klage wurde allerdings am 11.7.2019 und somit zu einem Zeitpunkt beim LG eingereicht, zu dem dort die Akten noch in Papierform geführt wurden. Nach § 7 Abs. 2 und 3 der Justiz-Informationstechnik-Verordnung vom 29.11.2017 (JustITV) sind jedoch Akten, die zu diesem Zeitpunkt bereits in Papierform angelegt worden sind, in dieser Form weiterzuführen. Eine generelle aktive Nutzungspflicht des Elektronischen Gerichts- und Behördenpostfachs - analog zur aktiven Nutzungspflicht für Rechtsanwälte nach § 130 d ZPO - besteht für Gerichte (jedenfalls derzeit noch) nicht. Jedenfalls unter diesen Umständen war das LG nicht gehalten, die Berufungsschrift elektronisch an das OLG weiterzuleiten.
Soweit die Rechtsbeschwerde die Auffassung vertritt, eine elektronische Weiterleitung der Berufungsschrift sei auch deshalb geboten gewesen, weil seit dem 1.1.2022 ein fristwahrender Eingang einer Rechtsmittelschrift beim zuständigen Rechtsmittelgericht nur noch dadurch erreicht werden könne, dass das unzuständige Gericht den Schriftsatz vor Fristablauf an das zuständige Gericht elektronisch übermittelt, kann dem nicht gefolgt werden. Der Senat hat - nach Erlass des angefochtenen Beschlusses - entschieden, dass die Einreichung eines Schriftsatzes, der unter Einhaltung der nach § 130 d Satz 1 ZPO zwingend erforderlichen Kommunikationsform bei einem unzuständigen Gericht eingegangen ist, grundsätzlich die erforderliche Form wahrt.
Wird dieser Schriftsatz dann dort ausgedruckt und in Papierform an das zuständige Gericht weitergeleitet, etwa weil bei dem unzuständigen Gericht noch eine Papierakte geführt wird oder eine elektronische Übermittlung aus anderen Gründen nicht möglich ist, ändert dies nichts daran, dass der Rechtsanwalt seiner Verpflichtung zur elektronischen Einreichung des Schriftsatzes nach § 130 d Satz 1 ZPO nachgekommen ist (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 242, 112 = FamRZ 2025, 190 Rn. 24). Deshalb wahrt ein elektronisch beim unzuständigen Gericht eingegangener Schriftsatz die Rechtsmittelfrist auch dann, wenn dieser bei einer postalischen Übersendung an das zuständige Rechtsmittelgericht dort innerhalb der noch offenen Rechtsmittelfrist eingeht.
Mehr zum Thema:
Kommentierung | ZPO
§ 130d Nutzungspflicht für Rechtsanwälte und Behörden
Greger in Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Aufl. 2024
10/2023
Kommentierung | ZPO
§ 233 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Greger in Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Aufl. 2024
10/2023
Kommentierung | ZPO
§ 517 Berufungsfrist
Heßler in Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Aufl. 2024
10/2023
Kommentierung | ZPO
§ 522 Zulässigkeitsprüfung; Zurückweisungsbeschluss
Heßler in Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Aufl. 2024
10/2023
Beratermodul Zöller Zivilprozessrecht
Otto Schmidt Answers optional dazu buchen und die KI 4 Wochen gratis nutzen! Die Answers-Lizenz gilt für alle Answers-fähigen Module, die Sie im Abo oder im Test nutzen. Inklusive LAWLIFT Dokumentautomation Zivilprozessrecht. Nutzen Sie ausgewählte Dokumente zur Bearbeitung mit LAWLIFT. Hier eingearbeitet die ersten Online-Aktualisierungen im Zöller zur Videokonferenztechnik (25.7.24). 4 Wochen gratis nutzen!
Rechtsprechung (siehe Leitsatz)
§§ 130a, 130d, 233 ZPO: Fristwahrung bei Antragseingang bei unzuständigem Gericht [m. Anm. Frank, S. 193]
BGH vom 23.10.2024 - XII ZB 411/23
Andreas Frank, FamRZ 2025, 190
Aktionsmodul Familienrecht
Alles zum Familienrecht in einem Modul! In Kooperation mit Otto Schmidt, Gieseking, Wolters Kluwer und Reguvis stehen ausgewählte Kommentare, Handbücher und Zeitschriften in einer Datenbank zur Verfügung. Selbststudium nach § 15 FAO: Regelmäßig mit Beiträgen zum Selbststudium mit Lernerfolgskontrolle und Fortbildungszertifikat. Beratermodul Familienrechtliche Berechnungen: Unterhalt. Zugewinnausgleich. Versorgungsausgleich. 4 Wochen gratis nutzen!