OLG Hamm v. 6.3.2025 - 5 UF 210/24
Entzug der elterlichen Sorge: Aufhebung und Zurückverweisung
Geht eine Kindeswohlgefährdung i.S.d. § 1666 BGB für ein im Haushalt seiner Eltern lebendes Kind von beiden Eltern aus, kommt eine Zurückverweisung der Sache an das Familiengericht wegen unzulässiger Teilentscheidung gem. § 69 Abs. 1, S. 2 FamFG auch dann in Betracht, wenn dieses in Unkenntnis des Bestehens der gemeinsamen elterlichen Sorge lediglich dem von ihm für alleinsorgeberechtigt angesehenen Elternteil gem. § 1666 BGB die elterliche Sorge oder Teile derselben entzogen hat und eine Entscheidung über den Entzug der elterlichen Sorge oder Teile derselben hinsichtlich des anderen – mitsorgeberechtigten – Elternteils nicht getroffen hat.
Der Sachverhalt:
Die Beteiligte zu 1) und der Beteiligte zu 2) sind die Eltern des 2017 geborenen G. und der 2024 geborenen I. Der Beteilige zu 2) hatte am 3.6.2024 die Vaterschaft für I. anerkannt. Ferner haben die Eltern am gleichen Tag eine gemeinsame Sorgeerklärung für das Kind abgegeben. Die Familie ist dem Jugendamt bereits lange bekannt, da die Polizei zwischen 2018 und März 2024 mehrmals häusliche Gewalt im elterlichen Haushalt gemeldet hatte.
Im Mai 2024 stellten Ärzte bei dem Kind I. u.a. zwei Rippenfrakturen im Brustkorb, 30 bis 40 Hämatome am gesamten Körper, offene Stellen an den Handinnenflächen sowie Bissabdrücke fest. Der behandelnde Oberarzt gab an, dass die Rippenbrüche durch massive äußere Gewalteinwirkungen entstanden sein mussten, da Knochenbrüche in diesem Alter aufgrund der noch sehr weichen Knochen kaum möglich seien. Mit Zustimmung der Mutter nahm das Jugendamt das Kind vorübergehend in Obhut.
Nachdem die Mutter ihr Einverständnis mit der Inobhutnahme zurückgenommen hatte, entzog ihr das Familiengericht zunächst im Wege einer einstweiligen Anordnung und später per Beschluss die Gesundheitsfürsorge und das Aufenthaltsbestimmungsrecht und ordnete eine Ergänzungspflegschaft an. Zum Zeitpunkt der Entscheidung war dem Familiengericht und den weiteren Beteiligten nicht bekannt, dass die Eltern die elterliche Sorge für I. seit dem 3.6.2024 gemeinsam ausübten.
Nach Erlass des Beschlusses ist die Mutter mit dem Kind G. verzogen. Der Vater befand sich vorübergehend wegen Körperverletzung und Kindesmisshandlung zum Nachteil des Kindes I. in Untersuchungshaft. Das Jugendamt reichte gegen den Beschluss Beschwerde ein mit dem Ziel, auch dem Vater die elterliche Sorge für I. zu entziehen. Schließlich habe dieser eingeräumt, zumindest die schwerwiegendsten Verletzungen des wenige Wochen alten Säuglings verursacht zu haben.
Der Vater verwies darauf, dass eine Korrektur des angefochtenen Beschlusses nicht in Betracht komme. Es handele sich nicht um ein offensichtliches Versehen oder einen Schreibfehler des Familiengerichts. Seine elterliche Sorge sei nicht Gegenstand des Verfahrens gewesen. Das Jugendamt müsse sein Begehren in einem neuen Verfahren verfolgen.
Auf die Beschwerde des Jugendamtes hat das OLG den Beschluss aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung über die elterliche Sorge des Vaters an das Familiengericht zurückverwiesen.
Die Gründe:
Zwar hatte das Familiengericht in dem angefochtenen Beschluss den Entzug von Teilen der elterlichen Sorge bei der Mutter ausführlich begründet. Eine Entscheidung hinsichtlich der elterlichen Sorge des Vaters war jedoch nicht erfolgt.
Dies gilt unter Berücksichtigung des § 1680 Abs. 2, 3 BGB, nachdem das Familiengericht die dem Alleinsorgeberechtigten entzogene elterliche Sorge dem anderen Elternteil zu übertragen hat, wenn dies dem Wohl des Kindes nicht widerspricht. Diese Prüfung hatte das Familiengericht, obwohl es – wenn auch irrtümlich – von der Alleinsorge der Mutter ausgegangen war, nicht vorgenommen und dazu unter Ausübung des eigenen Ermessens ausdrücklich keine gesonderte Entscheidung getroffen. Das Unterlassen dieser Entscheidung rechtfertigte die Aufhebung und Zurückverweisung nach § 69 Abs. 1, S. 2 FamFG (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 20.2.2015 – 19 UF 266/14).
Dem stand nicht entgegen, dass die Voraussetzungen für eine Entscheidung nach 1680 Abs. 2, 3 BGB tatsächlich nicht vorgelegen hatten, weil der beteiligte Vater mitsorgeberechtigt war, was im Falle des Entzuges der elterlichen Sorge der Mutter dazu führte, dass er die elterliche Sorge gem. § 1680 BGB alleine ausübte. Denn im Hinblick auf den dem Sorgerechtsverfahren zugrundeliegenden Vorwurf der Kindeswohlgefährdung von I. im Haushalt ihrer Eltern hätte das Familiengericht vom Amts wegen auch eine Entscheidung über die elterliche Sorge des beteiligten Vaters nach den §§ 1666, 1666a BGB treffen müssen. Jedenfalls hätte es diese Frage im Hinblick auf die Regelung in § 1680 Abs. 1 BGB und die von ihm festgestellte Kindeswohlgefährdung nicht offenlassen dürfen.
Allein der Umstand, dass es sich infolge der fehlenden Kenntnis von der Abgabe der gemeinsamen Sorgeerklärung der Eltern an einer näheren Befassung und Entscheidung nach den §§ 1666, 1666a BB im Hinblick auf den Vater gehindert gesehen hatte, stand der Aufhebung und Zurückverweisung nach § 69 Abs. 1, S. 2 FamFG nicht entgegen (vgl. OLG Köln, Beschl. v. 2.12.2016 – 2 Wx 550/16). Denn anders als im Fall eines Verfahrensfehlers i.S.d. § 69 Abs. 1 S. 3 FamFG kommt es nach § 69 Abs. 1 S. 2 FamFG nicht darauf an, aus welchen Gründen die Sachentscheidung unterblieben ist.
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