BGH v. 5.3.2025 - XII ZB 88/24
Sorgerecht und Umgang sind unterschiedliche Verfahrensgegenstände und in eigenständigen Verfahren zu behandeln
Sorgerecht und Umgang stellen unterschiedliche Verfahrensgegenstände dar, die nach der eindeutigen gesetzlichen Konzeption in eigenständigen Verfahren zu behandeln und zu entscheiden sind. Schon wegen der Verschiedenheit der Verfahrensgegenstände kann eine gerichtlich gebilligte Umgangsregelung einer Sorgerechtsregelung nicht entgegenstehen oder dieser vorgreiflich sein.
Der Sachverhalt:
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist das Sorgerecht für das im September 2017 geborene betroffene Kind. Die Kindesmutter, die türkische Staatsangehörige ist, und der Kindesvater, deutscher Staatsangehöriger mit türkischen Wurzeln, heirateten im September 2016. Die Ehe wurde im Dezember 2018 geschieden. Betreffend Sorgerecht und Umgang fanden mehrere Verfahren statt. Zuletzt wurden dem Kindesvater bei im Übrigen fortbestehender gemeinsamer Sorge im August 2021 mit Zustimmung der Kindesmutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht und die Bestimmung des - Kindergartens übertragen. Zugleich trafen die Eltern eine familiengerichtlich gebilligte Umgangsregelung, die einen wöchentlichen Umgang der Kindesmutter von Donnerstagnachmittag bis Montagvormittag vorsah.
Im vorliegenden, auf Anregung des Jugendamts eingeleiteten Verfahren übertrug das AG der Kindesmutter auf deren Antrag die Teilbereiche "schulische Angelegenheiten" und "Aufenthaltsbestimmungsrecht innerhalb des Hoheitsgebiets der Bundesrepublik Deutschland". Auf die Beschwerde des Kindesvaters übertrug das OLG diesem auf seinen Antrag die alleinige elterliche Sorge. Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Kindesmutter hob der BGH den Beschluss des OLG auf und verwies die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Die vom OLG aufgeworfene Frage, ob die im Jahr 2021 vereinbarte und gerichtlich gebilligte Umgangsregelung einer Sorgerechtsentscheidung entgegenstehen könne, ist zu verneinen.
Der Senat hat bereits in seiner bisherigen Rechtsprechung mehrfach darauf hingewiesen, dass Sorgerecht und Umgang unterschiedliche Verfahrensgegenstände darstellen, die nach der eindeutigen gesetzlichen Konzeption in eigenständigen Verfahren zu behandeln und zu entscheiden sind. Schon wegen der Verschiedenheit der Verfahrensgegenstände kann eine gerichtlich gebilligte Umgangsregelung einer Sorgerechtsregelung nicht entgegenstehen oder dieser vorgreiflich sein. Während die Sorgerechtsentscheidung nach § 1671 BGB eine Regelung der rechtlichen Befugnisse der Elternteile enthält, betrifft eine gerichtliche Umgangsregelung (nur) die tatsächliche Ausübung der elterlichen Sorge. Das spiegelt sich auch in deren Rechtsfolgen wider. Während die Sorgerechtsentscheidung rechtsgestaltend wirkt und einer Durchsetzung nicht bedarf, ist eine Umgangsregelung vollstreckbar.
Eine Sorgerechtsregelung, die - wie der angefochtene Beschluss - bei gleichzeitig bestehender Umgangsregelung das Sorgerecht einem Elternteil allein überträgt, wird folglich durch die Umgangsregelung selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn diese im Ergebnis auf eine paritätische Betreuung gerichtet ist. Denn dies ändert nichts am unterschiedlichen Rechtscharakter der beiden Gegenstände. Dementsprechend wird umgekehrt eine Umgangsregelung auch nicht etwa dadurch ausgeschlossen, dass der umgangsberechtigte Elternteil nicht (mit-)sorgeberechtigt ist. Es widerspricht folglich nicht der Sorgerechtsentscheidung, wenn der Umgang in diesem Fall vom Familiengericht gegen den Willen des allein Sorgeberechtigten geregelt wird. Vorrangiger Maßstab der jeweiligen Entscheidung zum Sorgerecht wie zum Umgangsrecht ist das im konkreten Fall und bezogen auf den jeweiligen Verfahrensgegenstand festzustellende Kindeswohl.
Der angefochtene Beschluss hält den Verfahrensrügen nicht stand. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht die Widersprüchlichkeit der vom OLG vorgenommenen Würdigung der entscheidungserheblichen Tatsachen. Das OLG hat die gegenüber dem Kindesvater geringere Erziehungseignung der Kindesmutter damit begründet, aus den in Vorverfahren eingeholten psychiatrischen Sachverständigengutachten des Dr. S. aus den Jahren 2021 und 2023 offenbare sich, dass die Kindesmutter eine über das normale Maß hinausgehende Konfliktbereitschaft zeige, die am ehesten einer dauerhaft bestehenden emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ zugeordnet werde. Zwar finde sich diese Diagnose im Gutachten aus dem Jahr 2023 nicht (mehr), aus dem Verhalten der Kindesmutter ergebe sich jedoch, dass die Problematik nach wie vor bestehe und sie eigene Anteile am Konflikt und die Belastungen des Kindes nicht erkenne.
Die Rechtsbeschwerde rügt mit Recht, dass die in einem zeitlichen Abstand von 20 Monaten erstatteten Gutachten desselben Sachverständigen zu unterschiedlichen Empfehlungen des Sachverständigen geführt haben, nämlich einerseits Befürwortung des Lebensmittelpunkts beim Vater im früheren, andererseits bei der Mutter im späteren Gutachten. Aufgrund des Umstandes, dass sich eine im früheren Gutachten getroffene Diagnose im aktuelleren Gutachten nicht mehr findet, konnte das OLG nicht ohne weitere Aufklärung zu der Annahme gelangen, dass die Problematik ihres Verhaltens mit den nachteiligen Auswirkungen auf das Kind unverändert bestehe. Damit hat das OLG die herangezogenen Sachverständigengutachten nur zum Teil verwertet, nämlich soweit die Erziehungseignung der Kindesmutter in Frage gestellt worden ist. Im Übrigen hat es die Ergebnisse aus dem späteren Gutachten hingegen nicht berücksichtigt. Es ist damit in der Sache zudem von den Erkenntnissen des Sachverständigen abgewichen, ohne hierfür eine dies rechtfertigende eigene Sachkunde darzulegen.
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