OLG Stuttgart v. 27.1.2025, 11 UF 222/24

Ausschluss des Versorgungsausgleichs wegen folgenschwerer Körperverletzung

Folgenschwere Körperverletzungen während der Ehe können zu einem Ausschluss des Versorgungsausgleichs führen (hier: Erblindung auf einem Auge infolge von Tätlichkeiten). Auch eine lange Trennungsdauer kann den vollständigen Ausschluss des Versorgungsausgleichs rechtfertigten.

Der Sachverhalt:
Die 2011 in der Türkei geschlossene Ehe der Parteien, beides türkische Staatsangehörige, wurde am 3.4.2024 rechtskräftig in Deutschland geschieden. Die Folgesache Versorgungsausgleich wurde vom Scheidungsverbund abgetrennt. Aus der Ehe ist ein 2009 geborener gemeinsamer Sohn hervorgegangen. Nach dem unbestrittenen Vortrag der Antragstellerin hat der Antragsgegner nie gearbeitet, stattdessen illegale Drogen wie Kokain oder Heroin konsumiert und sich nicht um seine Familie gekümmert.

Der Antragsgegner hat die Antragstellerin am 21.2.2014 auf einer Busfahrt zu einer Drogenentzugsklinik an einer Haltestelle aus dem Bus gezerrt und sie mit den Fäusten bis zur Bewusstlosigkeit ins Gesicht geschlagen. Infolgedessen ist die Antragstellerin auf dem rechten Auge erblindet. Ihr wurde ein Glasauge eingesetzt. Zu diesem Zeitpunkt lebte die Familie noch in der Türkei. Der Antragsgegner ist dann ohne Absprache mit dem gemeinsamen Sohn nach Deutschland gereist. Die Antragstellerin hat den Sohn erst wiedersehen können, nachdem sie ihre in der Türkei gegen den Antragsgegner erstattete Strafanzeige zurückgenommen hatte.

Noch im selben Jahr ist die Antragstellerin nach Deutschland gezogen, wo sie auch arbeitet und den Sohn allein betreut. Der Antragsgegner ist in Deutschland wegen Körperverletzungs‑, Einbruchs- und Betäubungsmitteldelikten straffällig geworden und deswegen mehrfach im Gefängnis gewesen. Kindes- und Trennungsunterhalt hat er nicht gezahlt. Im Scheidungsverfahren die hatte er die Durchführung des Versorgungsausgleichs beantragt. Während der Ehezeit (1.2.2011 bis 30.6.2021) hat die Antragstellerin Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung erworben (Ehezeitanteil 4,1827 Entgeltpunkte).

Das AG hat den Versorgungsausgleich durchgeführt und zugunsten des Antragsgegners ein Anrecht i.H.v. 2,0914 Entgeltpunkten festgestellt. Die Antragstellerin hat im hiergegen gerichteten Beschwerdeverfahren beantragt, den Versorgungsausgleich wegen grober Unbilligkeit auszuschließen. Das OLG ist dem nachgekommen.

Die Gründe:
En Versorgungsausgleich findet nicht statt. Denn die Durchführung des Versorgungsausgleichs zu Lasten der Antragstellerin wäre grob unbillig, § 27 VersAusglG.

Die Straftat des Antragsgegners gegenüber der Antragstellerin stellte eine schwere Körperverletzung gem. § 226 Abs. 1 Nr. 1 StGB dar. Dabei handelt es sich um ein Verbrechen, also um eine schwere Straftat. Die Antragstellerin leidet aufgrund der Erblindung bis heute an den Folgen dieser Tat, die erhebliche Auswirkungen auf ihr Leben hatte. Dies ließ es hier unerträglich erscheinen, wenn der dafür verantwortliche Antragsgegner dennoch von dem Versorgungsanrecht der Antragstellerin in der gesetzlichen Rentenversicherung durch den Versorgungsausgleich profitieren könnte.

Auch die lange Trennungsdauer rechtfertigte hier den vollständigen Ausschluss des Versorgungsausgleichs. Die Antragstellerin hatte während der Ehezeit erst nach der Trennung, nämlich ab August 2014, Anrechte erworben. Vor der Trennung während der Ehezeit erworbene Anrechte sind nicht vorhanden, an denen der Antragsgegner möglicherweise noch hätte partizipieren müssen. Während der Zeiträume in Freiheit hätte der Antragsgegner eine Erwerbstätigkeit aufnehmen können und müssen, um so zumindest Kindesunterhalt für den gemeinsamen Sohn zahlen zu können. Dies hatte er schuldhaft nicht getan, so dass auch diese Umstände für einen Ausschluss des Versorgungsausgleichs sprachen.

Die gem. § 27 VersAusglG erforderliche Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalls führte zu dem Ergebnis, dass es gerechtfertigt ist, von der Halbteilung abzuweichen und den Versorgungsausgleich insgesamt auszuschließen.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 29.04.2025 14:47
Quelle: Landesrechtsprechung Baden-Württemberg

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