BGH v. 19.2.2025 - XII ZB 377/24
Unzulässige Zwangsvollstreckung: Kein erneuter Beginn der Verjährung infolge einer Vollstreckungshandlung
Der erneute Beginn der Verjährung infolge einer Vollstreckungshandlung gilt nach § 212 Abs. 2 BGB als nicht eingetreten, wenn die Zwangsvollstreckung aus dem zugrundeliegenden Titel nach § 767 ZPO mangels hinreichender Bestimmtheit der Tenorierung rechtskräftig für unzulässig erklärt worden ist. Innerhalb von sechs Monaten nach Eintritt der Rechtskraft dieser Entscheidung hat der Gläubiger in analoger Anwendung des § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB die Möglichkeit, durch weitere Maßnahmen zur Rechtsverfolgung den Verjährungseintritt zu verhindern.
Der Sachverhalt:
Gegenstand des Verfahrens ist ein Vollstreckungsabwehrantrag, mit dem der Antragsteller die Verjährung übergegangener Kindesunterhaltsansprüche einwendet, die zugunsten des Antragsgegners tituliert sind. Der Antragsteller ist Vater zweier Kinder, für die der Antragsgegner (ein Jobcenter) im Zeitraum von Januar 2008 bis August 2016 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II erbrachte. Durch ein rechtskräftiges Versäumnisurteil vom 1.9.2008 wurde der Antragsteller verpflichtet, Kindesunterhalt aus übergegangenem Recht an den Antragsgegner zu zahlen. Nach Erlass dieses Urteils ergriff der Antragsgegner verschiedene Maßnahmen zur Vollstreckung der titulierten Unterhaltsansprüche.
Am 26.2.2020 wandte sich der Antragsteller mit einem (ersten) Vollstreckungsabwehrantrag gegen die Zwangsvollstreckung aus dem genannten Versäumnisurteil. Durch rechtskräftigen Beschluss des OLG vom 22.6.2021 wurde die Zwangsvollstreckung aus diesem Urteil wegen Unbestimmtheit der Tenorierung für unzulässig erklärt. Daraufhin beantragte der Antragsgegner am 15.7.2021 in einem weiteren Verfahren die Feststellung des vollstreckungsfähigen Inhalts des Versäumnisurteils. Durch Beschluss des OLG vom 2.9.2022 wurde festgestellt, dass der Antragsteller aus diesem Urteil ab dem 1.8.2008 zur Zahlung des Mindestunterhalts für beide Kinder abzgl. des hälftigen Kindergeldes an den Antragsgegner verpflichtet ist. Nachdem der Antragsgegner am 13.10.2022 den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses beantragt hatte, stellte der Antragsteller den vorliegenden Vollstreckungsabwehrantrag und erhob die Einrede der Verjährung.
AG und OLG wiesen den Antrag ab. Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Im Ergebnis ebenfalls zutreffend hat das Beschwerdegericht verneint, dass infolge des Beschlusses vom 22. Juni 2021, durch den die Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil rechtskräftig für unzulässig erklärt worden ist, eine Verjährung der titulierten Unterhaltsansprüche eingetreten ist.
Nach § 212 Abs. 2 Alt. 2 BGB gilt der erneute Beginn der Verjährung infolge einer Vollstreckungshandlung dann als nicht eingetreten, wenn die Vollstreckungshandlung wegen Mangels der gesetzlichen Voraussetzungen aufgehoben wird. Diese am 1.1.2002 im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung in Kraft getretene Vorschrift hat die Regelung des § 216 Abs. 1 Alt. 2 BGB a.F. - unter sprachlicher Anpassung - übernommen. Zu den gesetzlichen Grundvoraussetzungen für eine Vollstreckung zählt nach § 704 ZPO insbesondere ein rechtskräftiges oder für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil. Ein solcher Titel bestand hier in Form des Versäumnisurteils vom 1.9.2008. Zwar ist die Zwangsvollstreckung aus diesem Urteil durch den rechtskräftigen Beschluss vom 22.6.2021 für unzulässig erklärt worden. Dies hat vorliegend aber entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht nach § 212 Abs. 2 Alt. 2 BGB rückwirkend zu einem Wegfall der verjährungsunterbrechenden Wirkung der Vollstreckungsmaßnahmen geführt.
Die Rechtsbeschwerde macht allerdings mit Recht geltend, dass die eingetretene Unterbrechung der Verjährung im Falle der bindenden Feststellung der fehlenden Vollstreckungsfähigkeit des vom Gläubiger erwirkten Titels schon nach der Rechtsprechung des BGH zum früheren Recht "an sich" rückwirkend als nicht erfolgt anzusehen ist, weil es dann an den gesetzlichen Vollstreckungsvoraussetzungen fehlt. Eine solche bindende Feststellung ist der Aufhebung der Vollstreckungshandlung gleichzuachten. Diese Rechtsprechung lässt sich auf die gegenüber der Vorgängernorm nur sprachlich angepasste Vorschrift des § 212 Abs. 2 Alt. 2 BGB übertragen, zumal nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers "die dem früheren Recht eigene Unterscheidung, dass die Unterbrechung nur entfällt, wenn die Voraussetzungen für die Zwangsvollstreckung schlechthin fehlen und nicht schon dann, wenn die Vollstreckungshandlung etwa wegen Unpfändbarkeit der Sache oder aufgrund einer Drittwiderspruchsklage aufgehoben wird", erhalten bleiben sollte.
In den beiden letztgenannten Fällen mangelt es gerade nicht an den Vollstreckungsvoraussetzungen schlechthin, so dass eine Zwangsvollstreckung als solche unzulässig wäre, sondern es wird aus anderen Gründen nur die konkrete Vollstreckungshandlung im Einzelfall aufgehoben. Ist dagegen - wie hier - die Zwangsvollstreckung aus einem Titel mangels Bestimmtheit der Tenorierung rechtskräftig für unzulässig erklärt worden, scheidet eine Vollstreckung aus diesem Titel schlechterdings aus, so dass der Verjährungsneubeginn wegen Mangels der gesetzlichen Voraussetzungen nach § 212 Abs. 2 Alt. 2 BGB grundsätzlich als nicht eingetreten gilt.
Gleichwohl ist hier die Unterbrechungswirkung der Vollstreckungsanträge und Vollstreckungshandlungen (zuletzt des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vom 5.12.2019) in entsprechender Anwendung des § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB erhalten geblieben, weil der Antragsgegner am 15.7.2021 - mithin vor Ablauf von sechs Monaten nach Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses vom 22.6.2021 - die gerichtliche Feststellung des vollstreckungsfähigen Inhalts des Versäumnisurteils beantragt und somit eine Maßnahme zur Rechtsverfolgung ergriffen hat. Schon zum früheren Recht hatte der BGH ausgesprochen, dass eine Besonderheit bestehe, wenn die Entscheidung über die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung, die einer Aufhebung der Vollstreckungshandlung gleichstehe, erst zu einem Zeitpunkt ergehe, in dem der Anspruch des Gläubigers bereits verjährt wäre, wenn die durch die rechtzeitige Vollstreckungshandlung hervorgerufene Verjährungsunterbrechung als nicht eingetreten gelten würde.
Für einen solchen Fall hatte der BGH entschieden, dass die ursprüngliche Unterbrechungswirkung der Vollstreckungshandlung entsprechend § 212 Abs. 2 BGB a.F. erhalten bleibe, wenn der Gläubiger vor Ablauf von sechs Monaten nach Erlass der die Zwangsvollstreckung rechtskräftig für unzulässig erklärenden Entscheidung erneut eine verjährungsunterbrechende Maßnahme ergreife. Dem lag zugrunde, dass ein Gläubiger, der im Vertrauen auf einen bestehenden (vermeintlich vollstreckungsfähigen) Titel in unverjährter Zeit Maßnahmen zur Verjährungsunterbrechung ergriffen hat, schutzwürdig ist, wenn sich nachträglich herausstellt, dass der Titel mangels Bestimmtheit der Tenorierung doch nicht vollstreckungsfähig ist. Ihm wurde daher zugebilligt, binnen sechs Monaten nach Feststellung der mangelnden Bestimmtheit des Titels eine Maßnahme zur Rechtsverfolgung zu ergreifen, um so die ursprüngliche Unterbrechungswirkung aufrechtzuerhalten.
Zwar hat der Gesetzgeber im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung die Klageerhebung von einem Unterbrechungsgrund (§ 209 Abs. 1 BGB a.F.) in einen Hemmungsgrund (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB) umgestaltet, so dass die Regelung des § 212 Abs. 2 BGB a.F. im geltenden Recht keine unmittelbare Entsprechung mehr findet. Soweit Teile des Schrifttums daraus schließen, dass deshalb die Grundlage für die nach früherem Recht befürwortete Analogie entfallen sei, vermag dies jedoch nicht zu überzeugen. Denn die Neuregelung der Verjährungsvorschriften hat nicht dazu geführt, dass die bis dahin bestehende planwidrige Regelungslücke entfallen wäre.
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