BGH v. 17.4.2024 - XII ZB 454/23
Zur Abgrenzung von sonstigen Familiensachen zu allgemeinen Zivilsachen
Werden einem Rechtsanwalt die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung vorgelegt, hat er den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen eigenverantwortlich zu prüfen. (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 17.5.2023 - XII ZB 533/22, FamRZ 2023, 1381). Der BGH hat sich vorliegend zudem mit der Abgrenzung von sonstigen Familiensachen zu allgemeinen Zivilsachen befasst.
Der Sachverhalt:
Die Antragstellerin wendet sich gegen die Verwerfung ihrer Beschwerde wegen Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist. Die Beteiligten sind chinesische Staatsangehörige und haben im Jahr 1988 geheiratet. Die Antragstellerin begehrte vor einem Gericht in Peking die Scheidung der Ehe. Im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens schlossen die Beteiligten am 31.3.2018 eine "Scheidungsfolgenvereinbarung" ab, mit der sie Einverständnis über eine freiwillige Scheidung der Ehe erzielten und verschiedene Regelungen über den Unterhalt und das Besuchsrecht für einen seinerzeit noch minderjährigen Sohn sowie über die Verteilung von Vermögensgegenständen trafen. In diesem Zusammenhang vereinbarten die Beteiligten u.a., dass ein während der Ehezeit erworbenes und in Deutschland belegenes Hausgrundstück alleiniges Eigentum der Antragstellerin werden solle und der Antragsgegner nach der Scheidung "bei der Bearbeitung des Verfahrens über die Änderung des Eigentumsrechts unbedingt mitzuhelfen" habe. Gestützt auf diese Regelung nimmt die Antragstellerin den Antragsgegner im vorliegenden Verfahren auf Herausgabe von Schlüsseln und Unterlagen für dieses Grundstück und auf Abgabe der Auflassungs- und Bewilligungserklärung in Anspruch.
Das von der Antragstellerin zunächst angerufene LG erklärte sich mit Beschluss vom 16.4.2021 für funktionell unzuständig und verwies das Verfahren an das AG - Familiengericht. Das AG "verwarf" den Antrag nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit einem am 22.9.2022 verkündeten Beschluss unter Hinweis auf eine in der "Scheidungsfolgenvereinbarung" enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung wegen internationaler Unzuständigkeit deutscher Gerichte als unzulässig. Der dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin am 26.9.2022 zugestellte Beschluss enthält eine Rechtsbehelfsbelehrung mit dem Hinweis auf das Rechtsmittel der Beschwerde und das für den Beschwerdeführer bestehende Erfordernis, innerhalb einer Frist von zwei Monaten nach schriftlicher Bekanntgabe des Beschlusses einen bestimmten Sachantrag zu stellen und zu begründen.
Gegen den amtsgerichtlichen Beschluss legte die Antragstellerin am 24.10.2022 Beschwerde ein. Mit Verfügung vom 6.12.2022 wies das OLG die Antragstellerin darauf hin, dass die Beschwerde bislang nicht begründet worden und angesichts der am 28.11.2022 (Montag) abgelaufenen Beschwerdebegründungsfrist beabsichtigt sei, das Rechtsmittel als unzulässig zu verwerfen. Am 19.12.2022 beantragte die Antragstellerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist und begründete die Beschwerde.
Das OLG wies den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurück und verwarf die Beschwerde der Antragstellerin. Die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Mit Recht hat es das OLG als Voraussetzung für die Zulässigkeit der Beschwerde angesehen, dass die Antragstellerin als Beschwerdeführerin innerhalb einer Frist von zwei Monaten nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung zur Begründung der Beschwerde einen bestimmten Sachantrag stellt und diesen begründet (§ 117 Abs. 1 FamFG). Ohne Erfolg wendet sich die Rechtsbeschwerde gegen die Beurteilung des OLG, dass es sich bei dem vorliegenden Verfahren um eine Familienstreitsache i.S.d. § 112 FamFG handelt. Ob das Verfahren, welches die Verpflichtung zur Übertragung eines einzelnen Grundstücks aufgrund einer unter Geltung ausländischen Rechts getroffenen Scheidungsfolgenvereinbarung zum Gegenstand hat, als Güterrechtssache i.S.d. §§ 112 Nr. 2, 261 Abs. 1 FamFG eingeordnet werden kann, bedarf keiner weiteren Erörterung. Denn selbst wenn dies nicht der Fall wäre, handelte es sich jedenfalls um eine sonstige Familiensache i.S.v. §§ 112 Nr. 3, 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG.
Gem. § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG sind sonstige Familiensachen Verfahren, die Ansprüche zwischen miteinander verheirateten oder ehemals miteinander verheirateten Personen oder zwischen einer solchen und einem Elternteil im Zusammenhang mit Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe betreffen, sofern nicht die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte gegeben ist oder das Verfahren eines der in § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 lit. a bis k ZPO genannten Sachgebiete, das Wohnungseigentumsrecht oder das Erbrecht betrifft und sofern es sich nicht bereits nach anderen Vorschriften um eine Familiensache handelt. Mit § 266 FamFG hat der Gesetzgeber den Zuständigkeitsbereich der Familiengerichte deutlich erweitert. In den Fällen des § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG muss ein Zusammenhang mit Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe bestehen. Gemessen daran ist vorliegend (jedenfalls) vom Vorliegen einer sonstigen Familiensache i.S.d. § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG auszugehen. Das Verfahren steht nicht nur in einem zeitlichen Zusammenhang zu der in China betriebenen Ehescheidung. Auch inhaltlich stellt es sich unzweifelhaft als Begleiterscheinung der Beendigung der Ehe der Beteiligten dar.
Das OLG hat zu Recht angenommen, dass die Antragstellerin ihre Beschwerde nicht innerhalb der am 28.11.2022 (Montag) ablaufenden Frist des § 117 Abs. 1 Satz 3 FamFG begründet hat. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind nicht erfüllt. Denn die Antragstellerin hat die Beschwerdebegründungsfrist nicht unverschuldet i.S.v. § 117 Abs. 5 FamFG i.V.m. § 233 Satz 1 ZPO versäumt. Vielmehr beruht das Versäumnis auf einem Verschulden ihres Verfahrensbevollmächtigten, welches sie sich nach § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss. Die diesbezüglichen Ausführungen des OLG halten sich im Rahmen der Rechtsprechung des BGH und lassen Rechtsfehler nicht erkennen.
Vorliegend muss von einem vermeidbaren Rechtsirrtum des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin ausgegangen werden, wenn das Erfordernis einer fristgebundenen Beschwerdebegründung nach § 117 Abs. 1 FamFG tatsächlich besteht, der Verfahrensbevollmächtigte demgegenüber aber wie hier die irrige Rechtsauffassung vertritt, die Regelung des § 117 FamFG sei im Streitfall nicht anzuwenden. Im Übrigen hat ein Rechtsanwalt nach ständiger BGH-Rechtsprechung den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen immer dann eigenverantwortlich zu prüfen, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung, vorgelegt werden. Gemessen daran wäre der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin schon bei einer Vorlage der Akte zur Anfertigung der Beschwerdeschrift am 11.10.2022 verpflichtet gewesen, die ordnungsgemäße Eintragung der Beschwerdebegründungsfrist zu überprüfen.
Mehr zum Thema:
Rechtsprechung (siehe Leitsätze)
§ 233 ZPO: Sicherstellung der Einhaltung einer Rechtsmittelbegründungsfrist durch Eintragung einer Vorfrist
BGH vom 17.05.2023 - XII ZB 533/22
FamRZ 2023, 1381
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