BGH v. 10.1.2024 - XII ZB 389/22

Zur Behandlung sog. Grundrenten-Entgeltpunkte im Versorgungsausgleich

Die Grundrentenzeiten beruhen grundsätzlich auf Pflichtbeiträgen oder auf freiwilligen Beiträgen, die der Versicherte bis zum Erreichen der Altersgrenze in Abhängigkeit von seinem Einkommen zu erbringen hat. Somit handelt es sich um ein Anrecht, das durch Arbeit geschaffen und aufrechterhalten wird. Darauf, ob die Höhe des Rentenanspruchs mit der Höhe der erbrachten Beitragszahlungen korrespondiert, kommt es nicht an.

Der Sachverhalt:
Die Parteien waren vom 1.6.2011 bis 30.11.2020 verheiratet. Während dieser Zeit haben beide Ehegatten ausschließlich Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung erlangt. Der Antragsteller hat 6,3077 Entgeltpunkte mit einem vorgeschlagenen Ausgleichswert von 3,1539 Entgeltpunkten bei einem korrespondierenden Kapitalwert von 23.788,25 € sowie zusätzlich einen Zuschlag von 0,4530 Entgeltpunkten für langjährige Versicherung (sog. Grundrenten-Entgeltpunkte) mit einem vorgeschlagenen Ausgleichswert von 0,2265 Entgeltpunkten bei einem korrespondierenden Kapitalwert von 1.708,37 € erworben. Die Antragsgegnerin hat 2,3447 Entgeltpunkte mit einem Ausgleichswert von 1,1724 Entgeltpunkten bei einem korrespondierenden Kapitalwert von 8.842,81 € erlangt.

Das AG hat die interne Teilung der gesetzlichen Rentenanrechte angeordnet, allerdings mit Ausnahme des vom Antragsteller erworbenen Zuschlags an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung, zu dessen Ausgleich sich die amtsgerichtliche Entscheidung nicht geäußert hat. Die dagegen gerichtete Beschwerde der DRV Hessen (weitere Beteiligte) hat das OLG zurückgewiesen. Mit ihrer zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt die DRV Hessen eine Einbeziehung der Grundrenten-Entgeltpunkte in den Wertausgleich bei der Scheidung und war vor dem BGH erfolgreich.

Gründe:
Entgegen der Ansicht der Vorinstanz handelt es sich - wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat (Senatsbeschluss BGHZ 236, 205 = FamRZ 2023, 761 Rn. 8 ff.) - bei dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung (§ 76 g SGB VI) um ein im Versorgungsausgleich auszugleichendes Anrecht.

Gem. § 2 Abs. 2 VersAusglG ist ein Anrecht auszugleichen, sofern es durch Arbeit oder Vermögen geschaffen oder aufrechterhalten worden ist, der Absicherung im Alter oder bei Invalidität, insbesondere wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, Berufsunfähigkeit oder Dienstunfähigkeit, dient und auf eine Rente gerichtet ist. Der Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung wird nach näheren Berechnungsmaßgaben gewährt, wenn mind. 33 Jahre mit Grundrentenzeiten vorhanden sind (§ 76 g Abs. 1 SGB VI). Die Grundrentenzeiten beruhen grundsätzlich auf Pflichtbeiträgen oder auf freiwilligen Beiträgen, die der Versicherte bis zum Erreichen der Altersgrenze in Abhängigkeit von seinem Einkommen zu erbringen hat. Somit handelt es sich um ein Anrecht, das durch Arbeit geschaffen und aufrechterhalten wird.

Darauf, ob die Höhe des Rentenanspruchs mit der Höhe der erbrachten Beitragszahlungen korrespondiert, kommt es nicht an. Denn § 2 Abs. 2 VersAusglG verlangt nicht ein beitragsfinanziertes Versorgungssystem, sondern nur einen Kausalitäts- und Zurechnungszusammenhang zwischen der Arbeitsleistung des Ehegatten und seinem Rentenanspruch. Ausgleichspflichtig wäre daher auch ein Rentenanspruch, der sich allein aus Arbeitgeberbeiträgen oder aus Steuermitteln finanziert, sofern nur das Teilhaberecht des Ehegatten auf seine Arbeit als Teil der gemeinsamen Lebensleistung zurückzuführen ist. Diese Voraussetzung ist bei dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung erfüllt. Dieser Beurteilung steht die zusätzliche Voraussetzung nach § 76 g Abs. 1 SGB VI nicht entgegen.

Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts lässt sich auch daraus, dass sich das Anrecht unter Umständen als nicht hinreichend ausgleichsreif erweisen und sein schuldrechtlicher Ausgleich möglicherweise im Wertungswiderspruch zu § 97 a SGB VI stehen könnte, nichts gegen dessen Einbeziehung in den Wertausgleich bei der Scheidung herleiten. Denn der Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung erfüllt regelmäßig die Anforderungen an die Ausgleichsreife i.S.v. § 19 Abs. 1 und 2 VersAusglG

Von dem Ausgleich des Zuschlags an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung im Wertausgleich bei der Scheidung kann auch nicht wegen Geringfügigkeit abgesehen werden. Die Beurteilung dieser Frage richtete sich im vorliegenden Fall nach § 18 Abs. 2 VersAusglG, weil die Antragsgegnerin während der Ehezeit kein gleichartiges Anrecht, nämlich keine Entgeltpunkte aus einem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung, erworben hatte. Die von der Antragsgegnerin erworbenen übrigen Entgeltpunkte sind nicht von gleicher Art wie der von dem Antragsteller erworbene Zuschlag an Grundrenten-Entgeltpunkten, weshalb in Bezug auf solche eine Differenzbetrachtung nach § 18 Abs. 1 VersAusglG nicht in Betracht kam.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung
Bachmann/Borth
§§ 2 I, II, 19 I, II VersAusglG, 76g, 109 VI SGBVI: Ausgleich von Grundrenten-Entgeltpunkten
BGH vom 01.03.2023 - XII ZB 360/22
FamRZ 2023, 761

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 13.03.2024 16:36
Quelle: BGH online

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